Tagesprotokoll vom Dienstag, den 06.08.1999
von Thomas Mattern
Feldkurs in Dalnie Zelentsy (6. Tag)

Der 12. Tag unserer Exkursion brach an, bevor der 11. Tag zu Ende gegangen war. Während einige in unserer Gemeinschaftsküche Karten spielend in den neuen Tag kamen, fand sich eine andere Gruppe um Mitternacht auf den roten Klippen hinter der Stromstation unweit unseres "Wohnbunkers". Von diesen Klippen hatte man einen fantastischen Blick über den Fjord und seine Öffnung zum Barentsmeer. Als dunkler Schemen hob sich vor der untergehenden Sonne der mittlerweile von allen besuchte Vogelfelsen ab.

Der Vogelfelsen in der Mitternachtssonne

In diese Richtung blickte die Klippentruppe mit Ferngläsern, Feldstechern oder zusammengekniffenen Augen. Vor dem Vogelfelsen, der gut drei Kilometer von den Klippen entfernt von der Brandung umtost wurde, waren seltsame Erscheinungen zu sehen. Was zunächst wie ein paar Felsen erschien, nahm nach längerer Betrachtung die Form eines Minkewales, nein, sogar einer Walschule an, die anscheinend die Position haltend an der Oberfläche das Wasser durchpflügte. Immer wieder brach ein graues Etwas durch die Wasseroberfläche, mehr oder weniger an der gleichen Position. Als der 6. August eine dreiviertel Stunde alt war, hatte die Walschule, die nach wie vor an der gleichen Stelle erschien, berechtigte Zweifel an ihrer Existenz aufgeworfen. Ob nun Wale oder Felsen - die Aufmerksamkeit der Studenten war der Erscheinung gewiß. Der Fuchs, der weit unter den Studenten das Fjordufer absuchte, lugte argwöhnisch an den Klippen hinauf und zog es schließlich vor, einen Rückzug zu machen. Die Studenten folgten bald seinem Beispiel.

Der Tag nach der polaren Nacht präsentierte sich mit stahlblauen Himmel und weißen, dahintreibenden Wolken. Nach dem Frühstück begann auch schon das Programm. Ein Teil der Studenten ging mit Prof. Spindler in die Labors, um die Plankton- und Dredgen-Proben der letzten Tage zu bestimmen. Einige andere schlossen sich zu einer botanischen Exkursion mit Prof. Kappen und Mark Schlensog zusammen. Ein fünfköpfiger Trupp machte sich mit Dr. Piepenburg auf den Weg zu dem kleinen Boot, des wohl einzigen noch ansässigen Fischers, das noch für zwei weitere Fahrten an diesem Tag gemietet war.

Der Tag nach der polaren Nacht: Dalnie Zelentsy im Panorama

Die Bootsfahrer wollten in erster Linie Dredgen-Proben nehmen. Die letzten Dredge-Versuche waren größtenteils Schläge ins Wasser: die Dredge war zu leicht und daher unbrauchbar. Der Fischer hatte daraufhin eine alte, rostige Dredge aus seinem Schuppen hervorgekramt. Mit dieser sollte es heute noch einmal versucht werden, Benthosproben zu nehmen. Als sich die Bootsfahrer am Pier sammelten fehlte die Dredge und konnte auch nicht mehr aufgespürt werden - ein russisches Phänomen, das niemanden mehr in Aufregung versetzte. Die erste Ausfahrt verlief durch den Einsatz der zu leichten Dredge dementsprechend enttäuschend; dafür ging es noch einmal hinaus zum Vogelfelsen. Nach dem Mittag tauchte die schwere Dredge wieder auf (einer der russischen Fahrer hatte das Gerät am Vortag wieder in den Schuppen des Fischers geschleppt).

Jana staubt das Bino ab...Die Laborgruppe bestimmte hauptsächlich Planktonproben, der letzten Ausfahrten; neues benthisches Material erhoffte man sich von den letzten beiden Ausfahrten. Doch die Dredge hatte auf der ersten Ausfahrt wenig an die Oberfläche befördert. Lediglich die Reste einer Rippenqualle konnten im Labor eingehender untersucht werden. Erst die letzte Ausfahrt brachte endlich eine anständige Benthosprobe an die Oberfläche und, so daß im Labor noch einmal die Binokkulare "abgestaubt" werden konnten.

Die botanische Gruppe um Prof. Kappen wanderte nach dem Frühstück am Ufer des Fjordes entlang. Man wollte dem Fjord folgen, bis man die ersten Polarbirkenhänge erreichte. Der Weg gestaltete sich bis zum vorgesehen Ziel als unerwartet weit. Da man schließlich auch die bewältigte Strecke zurück marschieren mußte, wanderten die Botaniker bis 15 Uhr am Fjord entlang, ohne die Polarbirkenhänge zu erreichen. Neue botanische Funde brachte die Wanderung nicht hervor; bemerkenswert war allerdings die Tatsache, daß die Gruppe trotz des Nicht-Erreichens der Birkenzone mit einem Schwung saftiger Birkenpilze wieder in Dalnie Zelentsy eintrudelte.

Nach dem Abendessen, in der Schule, während der Referate...Eben diese Birkenpilze gingen schließlich in die Komposition des Abendessens ein: die liebevoll geschnittenen Pilze wurden unter einem Berg Spaghetti gerührt, so daß neben dem Pilzgenuß auch ausreichend Kohlenhydrate zur Verfügung standen. (Ob die Gesundheitsbeschwerden am nächsten Tag auf die Pilznudeln zurückzuführen war, konnte nicht eindeutig geklärt werden.)

Nach dem Abendessen versammelte sich die ganze Truppe für die letzten beiden noch ausstehenden Referate in der verlassenen Schule. Während in der Schule den Vorträgen gelauscht wurde, herrschte in der russischen Kaserne am Rande des Dorfes wohl reges Treiben, schließlich war für 22 Uhr das Revanche-Fußballspiel der Soldaten gegen die Kieler Studenten angesetzt. Zwar fehlte der leitende Offizier, aber das konnte dem russischen Team nur gut tun. Um Punkt 22 Uhr trafen die ersten Kieler im Fußballdress (T-Shirt und Gummistiefel oder Wanderbotten) im Stadion von Dalnie Zelentsy ein, welches nicht mehr war als ein ungemähtes Stück Tundra, mit zwei kleinen Toren und einer überwucherten rostigen Stacheldrahtrolle im äußeren Mittelfeld.

"Loddar" im Sturm "Loddar" beim Schuß Die Fußballteams-Teams

Das Spiel war in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Erstens fanden sich mehr Zuschauer ein, als man dachte, daß es Anwohner im Dorf gab. Zweitens stand im russischen Tor ein absolut furchtloser und nüchterner Soldat (ganz im Gegensatz zu den narkotisierten Keepern des ersten Spiels). Drittens entwickelte Prof. Kappen ein ungeahntes sportliches Talent als Zeitnehmer und quasi Schiedsrichter. Es wurden zwei Halbzeiten à 25 Minuten gespielt; die Nachspielzeiten der beiden Halbzeiten dehnten die gesamte Spieldauer dann annähernd auf dem FIFA-Reglement entsprechende 90 Minuten aus. Das Kieler Team umfaßte 10 Spieler von denen jeweils 5 inklusive Torwart auf dem Platz standen. Prof. Spindler war - trotz eines unangenehmen Magengrimmens - eine Bank im Tor. Auch der russische Torwart glänzte mit seinem Wagemut, mußte sich jedoch ob der miserablen Abwehrleistung seiner Vormänner, die nichts gegen die Kieler Sturmspitzen Dieter "Loddar" Piepenburg und Marcus Engelbrecht ausrichten konnten, fünf Mal geschlagen geben. Das Soldatenteam konnte mit einem gezielten Weitschuß in der Nachspielzeit der zweiten Hälfte den Ehrentreffer markieren. Trotzdem besiegelte der 5:1 Sieg das Schicksal der russischen Revanche - ein zweites Mal kehrten die Soldaten geschlagen und traurig in die Kaserne zurück. Auf das siegreiche Kieler Team wartete die schon seit Mittag aufgeheizte Banja, eine Mischung aus Sauna und Badehaus im kleinen Stile (ein kleiner Bretterverhau am Haus des Fischers). Während die Fußballer in der Banja schwitzten, entschlossen sich einige unerschrockene Fans, die Badequalitäten des Barentsmeers auszunutzen und hüpften in die polaren Fluten.

 
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Last modified: 17-10-99; Author: Thomas Mattern; Maps (c) 1988-1998 Microsoft Coorperation