Tagesprotokoll vom Mittwoch, den 28.07.1999
von Dorothee Dähnhardt & Ursula Ellenberg
Von Murmansk nach Khibini

Murmansk

Murmansk, die weltweit größte Stadt nördlich des Polarkreises und Gebietshauptstadt der Kola-Halbinsel, bot uns nach 2 Tagen St. Petersburg einen starken Kontrast: leere Straßen und vernachlässigte Plattenbauten zwischen üppig blühenden Weidenröschen. Murmansk entstand ab 1915 mit dem Bau der Murmanbahn, die den ganzjährig eisfreien Hafen auch vom Land her zugänglich machte. Sie umfaßt heute eine halbe Million Einwohner. Hier befindet sich der Hauptstützpunkt der russischen Nordmeerflotte und ein wesentlicher Fischereihafen mit ehemalig bedeutender fischverarbeitender Industrie. Früher einer der wichtigsten Arbeitgeber ist sie heute aus Devisennot aufgeben worden. Arbeitslosigkeit und Resignation prägen das Stadtbild.

Prof. Spindler vor der Sammlung im Empfangssaal des MMBINach kurzer Nacht kam es uns entgegen , daß wir erst um 11 Uhr vom Gästehaus des Pädagogischen Instituts abgeholt wurden. Die Fahrt ging landeinwärts in die Vororte von Murmansk, wo das Murmansker Marin-Biologische Institut (MMBI) fernab des Hafens gelegen ist. Während der Direktor des MMBI, Herr Matishov, die Exkursionsleitung zum in Rußland obligatorischen Wodkaemfang entführte, wurden wir im Emfangsraum des Institutes uns selbst überlassen. Dort gab es ein Gorgonenhaupt, Riesenschwämme und den viel zitierten "Seekloß" neben vielen anderen zoologischen Kostbarkeiten zu bewundern. Als arktischer Gruß empfing uns eine ausgestopfte Scheckente. Der Papageitaucher neben einem "Tufted Puffin", einer nordpazifischen Art, machte uns die Ausdehnung des russischen Reiches bewußt. An der Wand hing ein vielversprechendes Ölbild der Station in Dalnie Zelentsy, wo wir die nächste Woche verbringen sollten.

Warten auf Prof. MatishovWährend ein russisches Fernsehteam noch unseren Besuch dokumentierte, hieß uns der Direktor willkommen und ließ uns durch seinen Dolmetscher mitteilen, wie häufig und gerne dieses Institut von ausländischen Wissenschaftler- und Studentengruppen aufgesucht wird. 1935 in Dalnie Zelentsy gegründet und von den Exilwissenschaftlern Kreps, Palanski und Scarlato aufgebaut, sei das Institut lange Zeit trotz seiner peripheren Lage bekannt für hohes Forschungsniveau gewesen. Mit dem Ende der Stalinära 1954 kehrten die Exilwissenschaftler in ihre Heimatinstitute zurück. 1958 reorganisiert und im Laufe der Jahre weiter ausgebaut sind heute alle wesentlichen marinen Forschungschwerpunkte vertreten. Ein besonderer Schwerpunkt ist die Untersuchung der Einflüsse anthropogener Verschmutzung auf das marine Ökosystem des Barentsmeeres, das nach Aussage des Direktors ein "very clear ecosystem" ist, "but radioactiv, too". Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde 1991 das Institut nach Murmansk verlegt, da es "unmöglich war dort draußen unter den Bedingungen der russischen Realität der ´90er Jahre zu überleben". Schmunzelnd fügte Herr Matishov hinzu, nach einer Woche in Dalnie Zelentsy würden wir sicherlich diese Entscheidung nachvollziehen können. Mit letzten Sicherheitsanweisungen und guten Wünschen wurden wir verabschiedet. Unter der Führung der "Gebrüder Tarasov" ging es weiter in das Städtische Museum.

Hier schien die Zeit stehengeblieben zu sein: Hammer und Sichel über prunkvoll aufgehender Sonne schmückten die Eingangshalle. Nach obligatorischer Pause empfing uns eine sehr engagierte und redselige Dame, die uns die nächsten zwei Stunden durch das Museum leitete. Ein wichtiges Anliegen war ihr, den "Baltischen Verbund" vorzustellen. Dieser Verbund ist eine 1993 gegründete Interessen-Vereinigung der nördlichen Regionen von Norwegen, Schweden, Finnland und Rußland. Er will den grenzübergreifenden Dialog fördern, um umwelt- und gesellschaftspolitischen Problemen der Regionen zu begegnen. Für interessierte Leser sei hier die WWW-Adresse angegeben: http://www.murman.ru/eng/index.html. Zwischen Geologischer Sammlung und Ausstellungen zur Taiga, Tundra, marinen Arktis und Geschichte machte sie immer wieder auf die großen Umweltprobleme der Region aufmerksam.

Rücksichtslose Ausbeutung der Bodenschätze

Nur kurze Zeit späte,r auf der Fahrt in die Khibini Berge (Karte), wurden wir mit den Verwüstungen des Tagebaus und der Verhüttung von Nickel, Apatit, Nephelin und anderer Erze um die Industriestädte Monchegorsk, und Apatity konfrontiert. Die lange Fahrt nach KirovskDie Kolahalbinsel beherbergt ein Drittel aller Weltmineralien, ihre Lagerstätten gehören zu den reichsten der Erde. Rücksichtslose Ausbeutung unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen haben eine Landschaft entstehen lassen - verbrannte Erde - wie man sie sich schlimmer nicht vorstellen kann. Glücklicherweise ist diese Zerstörung aus Kapitalmangel auf den westlichen Teil der Kolahalbinsel, der durch die Murmanbahn erschlossen wurde, beschränkt geblieben. Die großen Lagerstätten im noch unberührten Osten der Halbinsel warten auf ihre Erschließung, welche, wie zu befürchten steht, in nicht allzu ferner Zukunft mit Stabilisierung der politischen Lage und Finanzhilfen aus dem Westen in Angriff genommen werden wird.

In Kirovsk angekommen verbrachten wir eine abenteuerliche halbe Stunde damit, die Geologische Feldstation der Moskauer Staatsuniversität zu suchen, auf der wir die nächsten Nächte untergebracht werden sollten- ein Erlebnis, auf das hin viele von uns den Vorsatz faßten vernünftig Russisch zu lernen. Schließlich entdeckt waren wir angenehm überrascht von den gemütlichen, alten Holzgebäuden der Station und dem lieben Haufen russischer Pfadfinder, die dort am Lagerfeuer die Gitarre kreisen ließen. Nach diesem ereignisreichen Tag brauchten wir ganz nach russischem Vorbild erstmal einen Wodka, mit dem wir auf Kunstdünger aber auch auf erfreulichere Dinge im Leben anstießen.

 
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Last modified: 17-10-99; Author: Thomas Mattern; Maps (c) 1988-1998 Microsoft Coorperation