
Murmansk, die weltweit größte Stadt nördlich des Polarkreises
und Gebietshauptstadt der Kola-Halbinsel, bot uns nach 2 Tagen St.
Petersburg einen starken Kontrast: leere Straßen und vernachlässigte
Plattenbauten zwischen üppig blühenden Weidenröschen. Murmansk entstand
ab 1915 mit dem Bau der Murmanbahn, die den ganzjährig eisfreien
Hafen auch vom Land her zugänglich machte. Sie umfaßt heute eine
halbe Million Einwohner. Hier befindet sich der Hauptstützpunkt
der russischen Nordmeerflotte und ein wesentlicher Fischereihafen
mit ehemalig bedeutender fischverarbeitender Industrie. Früher einer
der wichtigsten Arbeitgeber ist sie heute aus Devisennot aufgeben
worden. Arbeitslosigkeit und Resignation prägen das Stadtbild.
Nach
kurzer Nacht kam es uns entgegen , daß wir erst um 11 Uhr vom Gästehaus
des Pädagogischen Instituts abgeholt wurden. Die Fahrt ging landeinwärts
in die Vororte von Murmansk, wo das Murmansker Marin-Biologische
Institut (MMBI) fernab des Hafens gelegen ist. Während der Direktor
des MMBI, Herr Matishov, die Exkursionsleitung zum in Rußland obligatorischen
Wodkaemfang entführte, wurden wir im Emfangsraum des Institutes
uns selbst überlassen. Dort gab es ein Gorgonenhaupt, Riesenschwämme
und den viel zitierten "Seekloß" neben vielen anderen zoologischen
Kostbarkeiten zu bewundern. Als arktischer Gruß empfing uns eine
ausgestopfte Scheckente. Der Papageitaucher neben einem "Tufted
Puffin", einer nordpazifischen Art, machte uns die Ausdehnung des
russischen Reiches bewußt. An der Wand hing ein vielversprechendes
Ölbild der Station in Dalnie Zelentsy, wo wir die nächste Woche
verbringen sollten.
Während
ein russisches Fernsehteam noch unseren Besuch dokumentierte, hieß
uns der Direktor willkommen und ließ uns durch seinen Dolmetscher
mitteilen, wie häufig und gerne dieses Institut von ausländischen
Wissenschaftler- und Studentengruppen aufgesucht wird. 1935 in Dalnie
Zelentsy gegründet und von den Exilwissenschaftlern Kreps, Palanski
und Scarlato aufgebaut, sei das Institut lange Zeit trotz seiner
peripheren Lage bekannt für hohes Forschungsniveau gewesen. Mit
dem Ende der Stalinära 1954 kehrten die Exilwissenschaftler in ihre
Heimatinstitute zurück. 1958 reorganisiert und im Laufe der Jahre
weiter ausgebaut sind heute alle wesentlichen marinen Forschungschwerpunkte
vertreten. Ein besonderer Schwerpunkt ist die Untersuchung der Einflüsse
anthropogener Verschmutzung auf das marine Ökosystem des Barentsmeeres,
das nach Aussage des Direktors ein "very clear ecosystem" ist, "but
radioactiv, too". Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde 1991
das Institut nach Murmansk verlegt, da es "unmöglich war dort draußen
unter den Bedingungen der russischen Realität der ´90er Jahre zu
überleben". Schmunzelnd fügte Herr Matishov hinzu, nach einer Woche
in Dalnie Zelentsy würden wir sicherlich diese Entscheidung nachvollziehen
können. Mit letzten Sicherheitsanweisungen und guten Wünschen wurden
wir verabschiedet. Unter der Führung der "Gebrüder Tarasov" ging
es weiter in das Städtische Museum.
Hier schien die Zeit stehengeblieben zu sein: Hammer
und Sichel über prunkvoll aufgehender Sonne schmückten die Eingangshalle.
Nach obligatorischer Pause empfing uns eine sehr engagierte und
redselige Dame, die uns die nächsten zwei Stunden durch das Museum
leitete. Ein wichtiges Anliegen war ihr, den "Baltischen Verbund"
vorzustellen. Dieser Verbund ist eine 1993 gegründete Interessen-Vereinigung
der nördlichen Regionen von Norwegen, Schweden, Finnland und Rußland.
Er will den grenzübergreifenden Dialog fördern, um umwelt- und gesellschaftspolitischen
Problemen der Regionen zu begegnen. Für interessierte Leser sei
hier die WWW-Adresse angegeben: http://www.murman.ru/eng/index.html.
Zwischen Geologischer Sammlung und Ausstellungen zur Taiga, Tundra,
marinen Arktis und Geschichte machte sie immer wieder auf die großen
Umweltprobleme der Region aufmerksam.

Nur kurze Zeit späte,r auf der Fahrt in die Khibini
Berge (Karte),
wurden wir mit den Verwüstungen des Tagebaus und der Verhüttung
von Nickel, Apatit, Nephelin und anderer Erze um die Industriestädte
Monchegorsk, und Apatity konfrontiert. Die
Kolahalbinsel beherbergt ein Drittel aller Weltmineralien, ihre
Lagerstätten gehören zu den reichsten der Erde. Rücksichtslose Ausbeutung
unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen haben eine Landschaft
entstehen lassen - verbrannte Erde - wie man sie sich schlimmer
nicht vorstellen kann. Glücklicherweise ist diese Zerstörung aus
Kapitalmangel auf den westlichen Teil der Kolahalbinsel, der durch
die Murmanbahn erschlossen wurde, beschränkt geblieben. Die großen
Lagerstätten im noch unberührten Osten der Halbinsel warten auf
ihre Erschließung, welche, wie zu befürchten steht, in nicht allzu
ferner Zukunft mit Stabilisierung der politischen Lage und Finanzhilfen
aus dem Westen in Angriff genommen werden wird.
In Kirovsk angekommen verbrachten wir eine abenteuerliche
halbe Stunde damit, die Geologische Feldstation der Moskauer Staatsuniversität
zu suchen, auf der wir die nächsten Nächte untergebracht werden
sollten- ein Erlebnis, auf das hin viele von uns den Vorsatz faßten
vernünftig Russisch zu lernen. Schließlich entdeckt waren wir angenehm
überrascht von den gemütlichen, alten Holzgebäuden der Station und
dem lieben Haufen russischer Pfadfinder, die dort am Lagerfeuer
die Gitarre kreisen ließen. Nach diesem ereignisreichen Tag brauchten
wir ganz nach russischem Vorbild erstmal einen Wodka, mit dem wir
auf Kunstdünger aber auch auf erfreulichere Dinge im Leben anstießen.
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