Tagesprotokoll vom Samstag, den 31.07.1999
von Berit Finkennest & Stefan Günther
Transfer von Murmansk nach Dalnie Zelentsy

Morgens stand zunächst der Einkauf für die kommende Woche an, eine Expedition unter Leitung von Dr. Piepenburg: Der Bus sollte uns um 9 Uhr an unserem Quartier abholen, gegen 9.30 Uhr nahmen wir dann den öffentlichen Bus zum MMBI, um zu sehen wo der Bus blieb, dort erklärte man uns, er sei gerade zu unserer Unterkunft losgefahren. Mit dem Kleinbus fuhren wir also dem großen Bus- für die Dauer dieses Shoppings war dieser zum Einkaufsbus erklärt worden- hinterher. Letzterer brachte uns dann zunächst zu einem "Produkti" wo Geschirr, Putzmittel und Toilettenpapier eingekauft wurden. Danach ging es weiter zum "Rinok" um Lebensmittel zu bunkern. Die Frage wieviel von was benötigt würde, wurde mehrfach erörtert, man einigte sich schließlich auf einen Kompromiß; die folgende Liste enthält einen kurzen (und keineswegs vollständigen Überblick):

9 Kg Wurst120 Äpfel
20 kg Spaghetti
10 kg Käse
3 l Öl
9 kg Wurst
10 kg Reis
mehrere Kilo Tomaten, Paprika und Zwiebeln
4 Melonen
20 kg Kartoffeln

Letztere sind ein Beispiel für den Spaß, den ein solcher "Einkaufs-Marathon" allen Beteiligten bietet. Gekauft werden sollten, wie bereits erwähnt, 20 kg Kartoffeln; an einem Stand gab es große Kartoffelsäcke, die Verkäuferin wußte allerdings nicht wie schwer sie waren. Nach dem Preis gefragt, erklärte sie, den wüßte sie nicht, da sie ja das Gewicht nicht kenne, und die Kartoffeln kiloweise verkauft würden. Am anderen Ende der Markthalle befand sich eine Waage, so daß am Ende- nach einem Marsch mit dem Sack quer durch die Halle und zurück- alles zu beiderseitiger Zufriedenheit geklärt werden konnte.

Der Bus war gegen 13.20 Uhr wieder an unserem Quartier, das Gepäck wurde eingeladen und um 14 Uhr in der Kantine gegessen. Die Lebensmittel waren vorher in einen kleineren Truck umgeladen worden.

Erste Panne irgendwo in der TundraNach dem Lunch erhielten wir unsere Pässe zurück, das Gepäck wurde auf einen zweiten Truck umgeladen und dann ging es los zur Station Dalnie Zelentsy (Karte). Die Strecke war landschaftlich wunderschön, entlang von Seen und einer riesigen Menge von Blaubeeren. Am Straßenrand parkten in fast schon regelmäßigen Abständen Autos und Motorräder, deren Besitzer zum Beerensammeln gegangen waren(eine- wie das Pilzesammeln- nationale Leidenschaft der Russen).

Um 17 Uhr wurde eine kurze Pause eingelegt, danach sprang der Bus nicht mehr an, und unser Fahrer konnte ihn auch nicht dazu bringen selbiges zu tun, trotz Hämmern und Klopfen in den Eingeweiden des Motors. Glücklicherweise, war der "Gepäckwagen" noch hinter uns, und so ging die Fahrt gegen 18 Uhr - nachdem der Truck den Bus angezogen hatte- weiter.

Umstieg in ein angemessenes Vehikel19.44 Uhr: jetzt steht der "Gepäckwagen", 5 km vor Ende der Straße; von dort geht es nur noch mit 4WD weiter. Die Zeit bis es weiter ging wurde zu einer kurzen, spontanen botanischen Exkursion genutzt. Fünf km weiter hieß es dann umsteigen, auf dem letzten Streckenabschnitt sollen wir mehr oder weniger gemütlich auf, neben und zwischen unserem Gepäck sitzen.

Nachdem wir am Morgen die neue Mütze von Vater Tarassov bemerkten (Soldatenkäppi mit der Aufschrift: Operation Desert Storm), war eigentlich schon klar, daß wir auf einiges gefaßt sein müssen. Dennoch waren wir sehr überrascht als uns Vater T. andeutete, daß für uns Studenten (20 Leute samt Gepäck) die Reise nun auf der LKW-Pritsche (ca.9 qm²) weitergehen würde. Obwohl es von außen nicht so aussah, paßten wir komplett in den LKW hinein und es war sogar noch Platz für drei weitere russische Personen: ein älteres Pärchen und eine junge Frau. Daß sie mitten in der menschenleeren Tundra zugestiegen sind, war nur eine unter zahlreichen russischen Merkwürdigkeiten. Wir saßen dicht gedrängt auf unseren Bankreihen mit dem Blick nach hinten, wo unter der Plane die einzige Möglichkeit bestand hinaus zugucken.

"Die Leute die hinaus schauen konnten..."Der LKW setzte sich mit seinem typischen Knattern in Bewegung und es wurde schnell klar, daß der Vorteil der vorderen Bankplätze - der freie Blick nach draußen - durch den Nachteil einer herein ziehenden Dieselabgaswolke kompensiert wurde. Die Fahrt ging in Schritttempo voran und die oft sehr großen Schlaglöcher wurden von unserem Fahrer mit Bravour gemeistert Nach der langen Busfahrt war das Schaukeln auf dem Lkw eine willkommene Abwechslung, die auch das gelegentliche von der Bank fallen und die leichten Übelkeitserscheinungen kaum trüben konnte. Die Weiterfahrt verlief dann relativ problemlos, bis auf eine kurze Panne (Sand in der Benzinpumpe??) und einem steilen Hang, den unser Begleitlieferwagen erst im dritten Anlauf erklimmen konnte.

Die Leute, die hinaus schauen konnten, wurden durch den Anblick der weiten russischen Tundra belohnt, deren einzige Zivilisationsmerkmale die Straße und ein alter Panzer war, der am Wegesrand vor sich hin rottete. Irgendwann erreichten wir einen russischen Wachposten, der uns, nach dem Vorzeigen unserer Reisepässe und unserer Genehmigung zum Besuch des militärischen Sperrgebiets, passieren ließ. Nach kurzer Weiterfahrt erreichten wir unseren Zielort: Dalnie Zelentsy.

Dalnie Zelentsy

Auf den ersten Blick wirkte das Dorf noch relativ idyllisch: eine kleine Bucht an deren Ufer viele kleine Holzhäuschen standen. Das Postkartenmotiv wurde nur durch den diversen Metallschrott, der überall herumlag (rostende Wracks, Kettenfahrzeuge, Rohre...), sowie ein ziemlich häßlicher Plattenbau, der in der Mitte des Dorfes stand, gestört. Wie sich später herausstellte war dieser Bau der einzige in dem gesamten Dorf, der bewohnt war (sieht man mal von der Kaserne auf der anderen Seite der Bucht ab). Angeführt von Vater T. ging die privilegierte Gruppe der Dozenten hinein und blieb dort eine Weile, während wir nach der langen Fahrt froh waren erst mal frische Luft schnappen zu können.

Mittlerweile war es schon Mitternacht, obwohl es natürlich noch hell war. Nach kurzer Zeit kamen die Dozenten heraus und an dem verkniffenem Gesicht von Herrn Spindler war schnell zu bemerken, daß irgend etwas nicht stimmte. Er rief alle zusammen und schilderte uns die Situation: Die 3 Zimmer für die Studenten wären winzig klein, so daß außer den Liegepritschen kaum Platz wäre, außerdem hätten wir kein fließend Wasser. Für die Dozenten erschien diese Situation untragbar und es wurde diskutiert, ob wir bei Nichtbehebung dieser Mängel wieder abreisen sollten. Dank Herrn Spindler wurden aber noch weitere Zimmer für uns vorbereitet und wir einigten uns, erst einmal zu bleiben."Die Toiletten hingegen, schockten selbst die wischfaulsten Studenten..." Wer in dieser Situation noch dachte, daß es so schlimm doch nicht sein könnte, wurde wenig später eines Besseren belehrt. Nach kurzer Aufteilung auf die Zimmer betraten wir das Gebäude. Der unangenehme Geruch, sowie der Schmutz des Treppenhauses wurden noch mit viel Toleranz hingenommen (wer putzt schon gern das Treppenhaus?), auch das kaum vorhandene Mobiliar der Zimmer (das Beste hatte vier Holzbetten und ein Tisch, die anderen hatten nur Liegepritschen, die aber zum Schlafen ungeeignet waren) wurde akzeptiert, die Toiletten hingegen, schockten selbst die wischfaulsten Studenten, so daß ich mir die Beschreibung hier erspare. In der Nacht bemühten sich jedoch noch einige Reinigungskräfte, die neu hinzugekommenen Zimmer, die in dem schlimmsten Zustand waren, herzurichten. Die Aufregung des ersten Eindrucks, (Zitat von Herrn Kappen: "Das sieht hier ja aus, wie in meiner Kriegsgefangenschaft."), blieb noch eine ganze Weile erhalten, doch irgendwie wurde die Stimmung dadurch seltsamerweise eher besser als schlechter, was die meisten aber nicht davon abhielt nach dem langen Tag endlich schlafen zu gehen.

 
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Last modified: 17-10-99; Author: Thomas Mattern; Maps (c) 1988-1998 Microsoft Coorperation